Monopol, 04.01.2012

Das letzte Trauma der alten BRD
von Hendrik Lakeberg

Das Geiseldrama von Gladbeck im August 1988 hat die Medien mit ihrer eigenen Moral und Stadtplaner mit ihren Utopien konfrontiert. Dass die Wunden nicht verheilt sind, zeigt eine Ausstellung des Künstlers Markus Draper in der Nähe des Tatorts

 

Rentfort-Nord ist ein Stadtteil von Gladbeck, doch er könnte überall in Deutschland liegen. Ein Hochhausturm in der Mitte, darunter eine Filiale der Deutschen Bank, ein Supermarkt und ein paar Geschäfte. Die Stadtplaner der späten 60er haben sich so das Wohnen der Zukunft vorgestellt. „Manche nannten das urbane Utopien“, sagt der Künstler Markus Draper, der sich in Installationen mit fehlgeleitetem Städtebau und architektonischen Nicht-Orten auseinandersetzt und in der neuen Galerie Gladbeck unter dem Titel „Häuser und Schatten“ auch eine Arbeit zu Rentfort-Nord zeigt.

Von Utopie war spätestens seit dem 16. August 1988 in Bezug auf Rentfort-Nord nicht mehr die Rede. Die beiden Geiselnehmer Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski raubten die Bank unter dem Hochhaus aus, sie nahmen Silke Bischoff und Ines V. als Geiseln. Reporter, unter denen sich auch der Moderator Frank Plasberg befand, hielten Rösner das Mikrofon unter die Nase, während er eine Pistole an die Schläfe von Silke Bischoff drückte. Sie fuhren im Auto der Geiselnehmer mit und behinderten die Polizeiarbeit. Das Geiseldrama endete in einer Katastrophe: Es starben drei Menschen, nachdem die beiden Geiselnehmer tagelang und öffentlichkeitswirksam durch die Bundesrepublik fahren konnten.

Vor allem die Medien wurden mit ihrer eigenen Moral und den Grenzen des Journalismus konfrontiert. Markus Drapers "Rentfort-Nord" bohrt in Wunden. Der WDR, der erst sogar als Mediensponsor auftreten wollte, verweigerte im Laufe des Projekts die Mitarbeit. Löblich ist vor allem der Mut der Stadt, sich dem Geiseldrama zu stellen. Die Neue Galerie Gladbeck machte Drapers Ausstellung überhaupt erst möglich.

Ein lebensfeindlicher Nicht-Ort

Draper baute in deren Räumen, die nur einen Steinwurf von Rentfort-Nord entfernt liegen, die Stationen des Geiseldramas im Maßstab 1:100 nach. Mit einer Mini-Kamera durchfährt er die kargen Modelle und schneidet passagenweise die originalen Tonaufnahmen von den Geschehnissen dazu. Draper zeigt Rentfort-Nord als das, was es immer war: einen lebensfeindlichen Nicht-Ort, der trotz hochtrabender Vorstellungen seiner Erbauer, nie mit Leben gefüllt werden konnte. Hat die Architektur das Geiseldrama überhaupt erst möglich gemacht?

Die Tage im August waren neben dem Flugzeugunglück von Rammstein das letzte öffentliche Trauma der alten BRD. Draper, der in der DDR aufwuchs, hat einen unverstellten Blick auf die Geschehnisse. Kühl und ohne Pathos seziert er das Fehlverhalten der Medien und die stadtplanerischen Katastrophen der BRD. Seine Arbeit macht auch deutlich, dass die städtebaulichen Ideen in West und Ost gar nicht so verschieden waren. Denn worin unterscheiden sich die Plattenbauten der DDR von dem Gladbecker Neubaugebiet? Bis auf die Produkte im Supermarkt und der Sparkasse eigentlich kaum. Der Hochhausturm von Rentfort-Nord wird übrigens bald abgerissen. Wie stellen sich die Stadtplaner eigentlich heute die Zukunft vor?

 

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Welt am Sonntag, 11.12.2011

Die Stadt Gladbeck und ihr Schatten
Markus Draper rekonstruiert noch einmal das Geiseldrama von 1988 im Museum
von Stefanie Stadel

 

Er will wissen, wer am Telefon ist. "Der Bankräuber", so die Antwort. Noch einmal fragt Fernsehjournalist Hans Meiser nach. Und wieder, erschreckend banal: "Ja, der Bankräuber!" Es ist nur ein kurzer Wortwechsel. Ein Fetzen Realität, der Markus Drapers Installation fest an die Ereignisse von damals bindet. Es geht um jenes schwer fassbare Verbrechen, mehr als 20 Jahre liegt es nun zurück. Drei Menschen starben damals. Noch immer lastet das "Gladbecker Geiseldrama" schwer - auch auf der Stadt, in der damals, am 16. August 1988, alles begann. Was eigentlich jeder vergessen möchte: Die Neue Galerie Gladbeck holt es zurück. Nicht ohne Widerstände, aber ganz bewusst. Auf Initiative der umtriebigen Galerie-Organisatoren hat sich Draper des Themas angenommen. "Rentfort-Nord" nennt der Künstlers das Ergebnis seiner Recherchen: Die fünfteilige Installation, in der er die wesentlichen Etappen des Dramas auf ganz eigene Weise reinszeniert, steht im Mittelpunkt seiner Schau in Gladbeck.

Es geht dort um "Häuser und Schatten", wie der Ausstellungstitel verrät. Das passt zu Draper. Ist der Berliner doch bekannt als ein Mann der inhaltlich aufgeladenen Orte. Egal, ob er atmosphärisch aufgeladene Landschaftsbilder schafft oder Modelle ruinenhafter Behausungen - überall schwingt etwas Ungewisses, Unheimliches, nur Erahntes mit. So auch im schwarz-verkohlten Hochhaus-Skelett, das als weiteres prägendes Stück der Gladbecker Schau zwischen Sichtbetonwänden mitten im Hauptraum der Neuen Galerie emporwächst. Als Vorbild diente Draper der "Windsor Tower" in Madrid. Eines der höchsten Häuser Spaniens, das noch weiter aufgestockt werden sollte, jedoch nach einem Kurzschluss während der Bauarbeiten ausgebrannt ist. Der Kran auf dem Dach blieb stehen. Wie das Symbol einer geplatzten Utopie.

Auch in der ganz neuen Arbeit zum "Gladbecker Geiseldrama" geht es Draper um die Geschichte spezifischer Orte, um ihre "Schatten". Diesmal scheint sein Zugang allerdings sachlicher, abgeklärter, vielleicht analytischer als sonst. Auf fünf großen Tischen richtet der Künstler in chronologischer Reihe seine Rekonstruktionen der prägenden, irgendwie schicksalhaften Stationen des Geiseldramas an: "Die Bank" in Gladbeck, "die Bushaltestelle" in Bremen, "die Raststätte", die Kölner "Fußgängerzone", "die Autobahn". Wie fahle Kulissen wirken seine kleinen, blassgrauen und unbelebten Arrangements. Alles Erzählerische geht ihnen ab.

Leben - zumindest ein bisschen - kommt erst mit den fünf Monitoren ins Spiel, die sich auf den Tischen zu den Modellen gesellen. Etwa wenn der Künstler uns in Kamerafahrten, die sich an alten Fernsehreportagen orientieren, die nachgebauten Gebäude durchwandern lässt. Oder, noch eindrücklicher, in den Aufnahmen der Bremer Bushaltestelle: Draper filmt seine Rekonstruktion im Blitzgewitter, erinnert dabei unterschwellig an jene Journalisten-Meute, die das Geschehen damals mit Fotoapparaten belagert hat. Und gemahnt gleichzeitig an den medialen Irrwitz, der das Drama als eine Art Reality-Show in die Wohnzimmer transportierte.

Man merkt es den Arbeiten an - Draper hat genau recherchiert. Vor Ort und in allen möglichen Archiven. Das Dokumentarische schwingt mit, doch macht der Künstler das Geschehen nur in wenigen Andeutungen greifbar, verdichtet es aufs Äußerste. Viel wichtiger scheinen ihm jene Orte, die uns in seinen Installationen weitgehend - aber doch eben nie ganz - entleert begegnen: Bank, Bushaltestelle, Raststätte, Fußgängerzone, Autobahn. Einfache Orte, alltägliche Orte. In ihrer Schlichtheit wirken sie fast wie ein Gegenbild zu jenem erschreckenden Exzess an Gewalt und Sensationsgier, der sich dort rund um das Geiseldrama Bahn brach.

 

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WAZ, 20.11.2011

Keine leichte Kost
Von Maria Lüning

 

Den ersten Praxistest hat die Ausstellung in der Neuen Galerie bestanden: Am Eröffnungsabend gab es Interesse und Gesprächsstoff zur Genüge, denn mit dem Thema konnte jeder Besucher etwas anfangen: Das Gladbecker Geiseldrama im Modell in Szene gesetzt ist das tragende Element in der Präsentation "Häuser und Schatten" des Berliner Künstlers Markus Draper.

Keine leichte Kost für die Gladbecker, deren Stadt oft auf das eine negative Ereignis reduziert wird. Auch Bürgermeister Ulrich Roland gab zu, dem Thema zunächst mit Skepsis begegnet zu sein. Doch er bekannte, dieser anderen, künstlerischen Perspektive auf das Geschehen vor 23 Jahren durchaus etwas abgewinnen zu können. Zumal ein weiterer Aspekt ebenfalls transportiert wird: "Die kritische Sicht auf urbane Orte, die auswechselbar erscheinen."

"Gesichtslose Nicht-Orte, blasse Kulissen", nennt die FAZ-Kulturkritikerin Magdalena Kröner in ihrer Einführung die farblosen Modelle von "Rentfort-Nord" mit ihren profanen Titeln wie Bank, Haltestelle, Raststätte, Fußgängerzone, Autobahn. Eine fast typische Arbeit für den Künstler Markus Draper sei das. Er offenbare in seinen modellhaften Arrangements oft das Neurotische, Verborgene und Gefürchtete einer Gesellschaft. Straßen und Gebäude würden in seinem Werk als "therapeutische Objekte" inszeniert. "Erinnerungsräume , die für jeden zu füllen sind."

Diese Räume mit Erinnerungen zu füllen, das ist kein Problem für die Gladbecker. Für sie sind die Geiselgangster, die in der Installation namentlich gar nicht vorkommen, gegenwärtig. "Den Degowski hab ich mal verteidigt, am Anfang seiner kriminellen Karriere", weiß Anwalt Burchard Strunz. "Der hat sich beim Grillen bei Umsonst&Draußen mal vorgedrängelt", fällt SPD-Ratsherr Wendel vorm Walde ein. "Bei Rösners in Rentfort habe ich die Post ausgetragen, eine gut bürgerliche Gegend war das", weiß Linke- MdL Ralf Michalowsky noch.

"Hoch interessant", findet Kulturamtsleiter Lothar Sikorski die Installation. "Das Geiseldrama muss auch 23 Jahre danach be- und verarbeitet werden. Wir dürfen das nicht verdrängen." Keineswegs, denn auch erst vor wenigen Jahren zugezogene Neu-Gladbecker wie Udo Hennenhöfer werden immer wieder damit konfrontiert. "Gladbeck, die Stadt mit dem Geiseldrama", sei die reflexhafte Reaktion bei Nennung des Wohnortes. "Man fühlt sich wie erschlagen." Das seien andere Aspekte des Geiseldramas doch viel wichtiger: Das völlige Versagen von Polizei und Medien. "Und das fand woanders statt", so Hennenhöfer.

Es gibt aber auch die andere Sichtweise auf das Ausstellungsthema: Für Baurat Carsten Tum sind Gebäude wie die Schwechater 38 "Häuser, die aus der Zeit gefallen sind." Auch darauf mache Drapers Kunst aufmerksam. "Dass wir uns an Ruinen gewöhnen."

Die Ausstellung in der Neuen Galerie, Bottroper Straße 17, ist bis zum 13. Januar 2012 mittwochs bis sonntags, 15 bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen unter www.Neue-Galerie-Gladbeck.de und speziell zum Ausstellungsthema unter www.rentfort-nord.de

 

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WAZ, 17.11.2011

Geiseldrama von Gladbeck als Kunstobjekt in Neuer Galerie
Von Maria Lüning

Gladbeck. Kunst soll ja auch für Kontroversen sorgen. Die neue Ausstellung in der Neuen Galerie wird das sicherlich erreichen. Der Berliner Künstler Markus Draper hat die Ereignisse um Rösner und Degowski unter dem schlichten Titel "Rentfort-Nord" verarbeitet.


Das Gladbecker Geiseldrama hat sich tief in das Gedächtnis der Republik eingebrannt und liegt seit 23 Jahren wie ein dunkler Fleck auf der Imagekarte der Stadt. Jetzt wird das Geschehen von damals zum Gegenstand in der Kunst: Der Berliner Künstler Markus Draper hat die Ereignisse um Rösler und Degowski unter dem schlichten Titel "Rentfort-Nord" verarbeitet. Und stellt diese künstlerische Installation im Rahmen der Ausstellung "Häuser und Schatten" in der Neuen Galerie aus.

Diese ungeheure, schreckliche Geschichte als Kunstwerk - geht das überhaupt? Ja, doch und es passiert etwas ganz Erstaunliches: Der Fokus wird weggelenkt von Gladbeck, das mit dem Banküberfall an der Schwechater Straße 38 zwar Ausgangspunkt des Geschehens war, aber eben nur der Anfang. Ein Ort mit einer Bank eben, willkürlich ausgewählt. Draper lässt Täter und Opfer jedoch völlig außen vor, reduziert das Drama auf die Orte und Gebäude, an denen es seinen Verlauf nahm. Und hat fünf der wichtigsten Standorte originalgetreu im Maßstab 1:100 auf fünf Tischen nachgebaut.

Nachgedrehte Filmszenen

Scheinbar harmlos wirken die Modellbauten mit ebenso neutralen Titeln. "Die Bank" (Gladbeck), "Die Tankstelle" (Bremen), "Die Raststätte", "Die Fußgängerzone (Köln), "Die Autobahn". Blassgraue, farblos erscheinende Szenerien, deren Bedeutung erst mit der eigenen Erinnerung und dem Wissen um die Geschichte scharf hervortritt. Bewegung entsteht durch schwarz-weiß nachgedrehte Filmszenen via Bildschirm, und einige O-Töne von damals erinnern unerbittlich an das Grauen hinter diesen Fassaden. "Wer sind Sie denn bitte? "Der Bankräuber". Da ist es ganz nah, das Geschehen von damals.

Durch die Installation als Ganzes aber "enthebt es sich vom Lokalen, wirkt dagegen", ist die Absicht des Künstlers. Das Trauma der Stadt, in dunkler Schublade versteckt, kommt zwar wieder ans Tageslicht, verliert aber seine belastende Bedeutung.

Kurator Gerd Weggel ist gespannt auf Reaktionen

Ob die Gladbecker Ausstellungsbesucher das auch so sehen werden? Darauf ist Kurator Gerd Weggel, dem die Brisanz des Themas dieser Ausstellung in der Neuen Galerie wohl bewusst ist, gespannt.

Es gibt aber noch die andere Dimension dieses Themas "Häuser und Schatten", die in der Schwechater Straße 38 ebenfalls präsent ist: Gescheiterte Utopien moderner Architektur. So wie die Schwechater heute ein leeres Wohngebäude ist, so stand lange Zeit auch der Windsor-Tower in Madrid wie ein zerbrochener Architektur-Traum mitten in der "Weißen Stadt". Das 100 Meter hohe Gebäude war bei Aufbauarbeiten in Brand geraten, die Ruine mit dem Kran oben drauf erinnerte einem Mahnmal gleich an die hochfliegenden Pläne der Erbauer.

 

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Pressematerial intern